Die Reaktion von Ren fiel ungefähr so aus, wie ich es erwartet hatte: Sehr unterhaltsam. Sein böses Augenfunkeln brachte das Grinsen, das ich zeigte, nicht eine Spur ins Wanken. "Hey", begrüßte ich ihn fröhlich. Seine Bemerkung brachte mich jedoch dazu, neugierig den Kopf schief zu legen. Das klang ja so, als wäre ich für ihn mehr ein alter Vertrauter als ein Fremder. "Du weißt, wer ich bin?", fragte ich deswegen auch sogleich nach. Bisher war ich davon ausgegangen, dass mein, natürlich reiner Neugier entspringendes, Interesse einseitiger Natur war. "Ich habe nach einem guten Platz zum Schwimmen gesucht, dich dann hier so ganz alleine sitzen sehen und mir gedacht, dass du etwas Gesellschaft bestimmt gut vertragen kannst", beantwortete ich seine Frage ehrlich und mit unbeschwertem Tonfall. "Und du so?"

Ich zog eine Augenbraue hoch. Yawarakai konterte tatsächlich einmal, statt nur zu jammern, was für eine nette Abwechslung. Allerdings reichte mir das nicht, um von ihm abzulassen, und um mich klein zu kriegen, brauchte es deutlich mehr. "Etwas anderes hast du auch nicht verdient", gab ich also mit eisiger Stimme zurück. Und gleich darauf war es mit Yawarakais Kampfeswillen auch schon wieder vorbei. Er zuckte vor meinen Worten zurück, und in seinen Augen meinte ich tatsächlich, Tränen zu erkennen. Doch statt ihn zu bemitleiden, spornte mich das nur noch mehr an, denn er zeigte mir damit nur, dass ich Recht hatte. Und seine folgenden Worte fachten meine Wut noch mehr an. Mit zornig blitzenden Augen trat ich auf ihn zu. "Ein trotziges Kind, ja? Etwa weil ich nicht zulasse, dass du einfach vergisst, was du getan hast? Weil ich dich nicht, wie alle anderen hier, bemitleide und dir deinen Kopf tätschle? Ich arbeite jeden Tag an mir und versuche alles, um besser zu werden, damit so etwas nie wieder geschieht! Und was tust du? Du hast bereits Angst vor deinem eigenen Schatten, und stehst hier herum und jammerst vor dich hin! Wie sollte ich dich da nicht verachten?" Wobei das nicht die ganze Wahrheit war. Es tat mir tatsächlich gut, in Yawarakai einen Schuldigen zu haben, den ich hassen konnte, und ihn das jeden Tag wieder spüren zu lassen, half mir selbst dabei, nicht zu sehr über das, was geschehen war, nachdenken zu müssen.

Er grinste mich wie blöde an, als ob ich die Unterhaltungsshow des Tages wäre. Auch seine Begrüßung fiel fröhlich aus, was mich ein wenig verwirrte, da er sich von meinem nicht gerade freundlichen Verhalten wohl nicht gestört fühlte. Aber er hatte es wohl nicht erwartet, dass ich wusste, wer er war. Nachdem ich mich ja mit niemanden, abgesehen von meinen Halbgeschwistern, wirklich beschäftigte, war seine Verwunderung darüber eigentlich nachvollziehbar. "Weiß ich. Cosimo. Sohn des Hypnos", gab ich deswegen nur als Antwort. Nur, weil ich ungerne etwas mit anderen zu tun hatte, hieß das nicht, dass ich mein Umfeld ignorierte. Gerade, weil es mir nicht angenehm war, mit anderen zu viel zu tun haben, war ich ziemlich aufmerksam, was meine Umgebung betraf. Es hatte jedoch nichts damit zu tun, dass ich Interesse an der Bekanntschaft mit anderen hatte und hoffentlich würde Cosimo davon auch nicht ausgehen. Ich runzelte die Stirn bei seiner Aussage, dass ich etwas Gesellschaft vertragen könnte. Der Meinung war ich nämlich nicht. "Ich sitze weit weg vom Hauptteil des Strandes, alleine auf einem Felsen. Wie kommst du darauf, dass ich Gesellschaft wollte?", fragte ich deswegen entsprechend irritiert nach, was er auch gerne als Antwort auf seine Frage werten durfte.

"Ich bin beeindruckt und ein wenig geschmeichelt", sagte ich mit einem breiten Lächeln, und meinte das auch so. Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass Ren wusste, wer ich war. Klar, vielleicht erinnerte er sich noch an mich aus der Schlacht um Manhattan, aber damals hatte ich mich nicht mit Namen vorgestellt. "Du bist Ren, Sohn der Hekate", gab ich zurück, um zu zeigen, dass er nicht der Einzige war, der Bescheid wusste, nicht, dass er mich für gleichgültig hielt. "Sehr praktisch, das spart uns eine komplizierte Vorstellrunde." Er sah immer noch nicht gerade glücklich aus, aber das tat er ja so gut wie nie. Er wirkte außerdem reichlich irritiert über meine Vorannahme, doch davon ließ ich mich nicht aus der Bahn werfen. "Naja, wieso solltest du keine Gesellschaft wollen?", antwortete ich mit einer Gegenfrage. "Ich meine, es ist ein wunderschöner Tag, und er wird sicher noch schöner, wenn man ihn mit anderen teilt."

"Du meinst, weil es noch nicht genug war, dir zu begegnen?", erwiderte ich kalt. Wenn Yawarakai glaubte, mich mit seinen Worten verletzen zu können, dann hatte er sich geschnitten. Ich war absolut überzeugt davon, mich ihm gegenüber zurecht so zu verhalten, und mein Selbstbewusstsein konnte er nicht erschüttern, ich wusste, was ich leistete. Seine Reaktion auf seine eigenen Worte entlockte mir ein spöttisches Schnauben. "Du bekommst es ja nicht einmal richtig hin, gemein zu sein", stellte ich fest. "Was bist du doch erbärmlich." Wenn er mich wenigstens einmal wirklich angehen würde, dann könnte ich ihn vielleicht zumindest respektieren. Aber nein. "Ja, das glaube ich", gab ich zurück. Meine Stimme klang ruhig und kühl, je mehr er sich aufregte, desto gelassener wurde ich. Nur meine Augen funkelten ihn voller Zorn an, ansonsten war mir von meinen Gefühlen jedoch nichts anzumerken. "Dafür, dass du kein Mitleid von mir willst, heulst du aber ganz schön herum", bemerkte ich. Nach meinem Gefühl würde es jetzt tatsächlich nicht mehr lange dauern, bis er losweinte, und vielleicht würde mir das dann zumindest eine kleine Befriedigung geben.

Getroffen schnappte ich nach Luft. Sie war so kalt und egal was ich sagte, es schien einfach von ihr abzuperlen, wie Regen von einer Fensterscheibe. Obwohl sie sich so widerlich mir gegenüber verhielt, konnte ich das ihr gar nicht verübeln, und dafür hasste ich mich sogar noch mehr. Sie hatte recht. Mit allem, auch dass ich Schuld an Leons Tod war, und diese Schuld konnte ich nicht begleichen. Vielleicht war es tatsächlich besser für alle, wenn ich einfach verschwand, und letztendlich von irgendeinem Monster in Stücke gerissen werden würde. Sofort schüttelte ich den Kopf. Nein, so darf ich nicht denken! Ich versuchte, mich zusammen zu reißen, irgendwelche Worte zu finden, um sie auf sie zurück zu schießen, doch mein Kopf war leer und mir fiel einfach nichts ein. Ich... sie hat recht... Statt also noch irgendwas zu sagen, drehte ich mich um und lief einfach davon.

=> Yawarakai verlässt hiermit das Rpg

Ich hatte ihm eigentlich keinen Grund geben zu wollen, beeindruckt zu sein oder sich geschmeichelt zu fühlen. Aber ich hielt lieber meinen Mund, bevor ich noch Dinge sagte, von denen er besser nicht erfahren sollte oder bevor er sich noch weitere Sachen ausdachte, die eigentlich nicht zutrafen. Die Wahrheit war aber leider die, dass ich, nachdem ich ihm im Camp wiedererkannt hatte, mich eventuell ein wenig über ihn erkundigt hatte, und so seinen Namen und seine Herkunft in Erfahrung gebracht hatte. Daraufhin hatte ich dann auch eine Erklärung gehabt, wie er mich damals in der Schlacht von Manhattan so schnell ausschalten hatte können. Aber ich hatte eigentlich nicht weiter die Absicht gehabt, irgendwie Kontakt mit ihm aufzubauen, denn immerhin war unsere erste Begegnung gewesen, dass wir uns als Feinde gegenüber gestanden hatten. Und das machte es alleine für mich schon viel zu unangenehm. Deshalb verstand ich auch gar nicht, was er eigentlich von mir wollte. "Und weiter?" Zwar war ich auch nicht erpicht gewesen auf eine Vorstellungsrunde, aber für meinen Geschmack wusste er doch einiges zu viel über mich. Auch wenn es hier im Camp nicht lange dauerte, bis man den Elternteil von einem herausgefunden hatte. "Ich wiederhole mich: Ich sitze weit weg vom Hauptteil des Strandes, alleine auf einem Felsen. Und zwar, weil ich meine Ruhe wollte", gab ich ihm nun zu verstehen, warum ich keine Gesellschaft wollte. Sein Spruch hebte meine Laune auch nicht gerade. Eher das Gegenteil. "Und aus welchem Buch hast du den Spruch?"

So nah vor Ren fiel mir zum ersten Mal auf, wie traurig seine dunklen Augen dreinblickten. Da ich seine Träume kannte, war das kein Wunder, aber dass er selbst an einem so schönen Tag wie heute am Strand so trübsinnig dreinblickte... Das würde sich doch sicher ändern lassen! "Naja, jetzt kommt der Rest vom Kennenlernen. Wir könnten darüber reden, was wir gerne machen, was unsere Wünsche und Träume sind, was uns in den tiefsten Tiefen unserer Seele bewegt... In welcher Reihenfolge auch immer dir beliebt", schlug ich mit einem Schmunzeln vor. Jedenfalls hatte ich nicht vor, mich abwimmeln zu lassen. Entsprechend ungerührt reagierte ich auch auf Rens Aussage. "Ach was, du hast doch immer deine Ruhe, du bist ja praktisch immer alleine. Da wird es Zeit für etwas Abwechslung." Außerdem war ich der Meinung, dass es Ren sicher nicht helfen würde, sich weiterhin so zu isolieren, aber das sprach ich lieber nicht aus. "Aus keinem, ich lese nicht wirklich", antwortete ich mit einem Schulterzucken auf seine wohl nicht ganz ernst gemeinte Frage.