Kurz ließ ich meinen Blick schweifen, als wir die Krankenstation erreichten. Es war hier niemand zu sehen, außer einer anderen Person, die kurz nach einer freundlichen Erklärung die Station verließ. Nachdem er uns bedeutet hatte, uns auf die Liegen zu setzen, tat ich das sogleich. Selbst wenn ich nicht erschöpft wäre, ich hatte den Eindruck, dass wir hier wirklich gut aufgehoben waren. Zudem machte niemand hier den Eindruck, uns auch noch den Rest geben zu wollen, nach den Monstern gab es nicht mehr so viel, was mir mehr Angst machen würde. Mehr oder weniger neugierig, eigentlich war ich einfach nur müde, beobachtete ich den Zentaur, wie er etwas aus einem Schrank holte, das an einen Sandkuchen erinnerte. Bei der Erklärung zu dem, was er uns geben wollte, flog doch ein leichtes Lächeln über meine Lippen. "Wohlschmeckende Medizin ist schon ein Widerspruch an sich", kam mir der Scherz über die Lippen, ohne dass ich darüber nachdachte und nahm es entgegen. Es gelang mir sogar, das Lächeln von Chiron leicht zu erwidern. Als er nach meiner Wunde fragte, nickte ich sofort. "Natürlich", entgegnete ich sofort. Aus Höflichkeit wollte ich ihn nicht gleich den Verband abzupfen lassen, sondern legte für einen Augenblick das Ambrosia zur Seite, um mich dann an dem provisorischen Verband zu schaffen zu machen und diesen vorsichtig zu entfernen, nachdem ich den kurzen Ärmel meines Shirts wieder hoch geschoben hatte. Den schmutzigen Verband legte ich auf meinen Schoß, ehe ich das Ambrosia wieder zur Hand nahm.
Die Wunde an meiner Schulter sah nicht unbedingt glücklich aus. Eines dieser Biester hatte messerscharfe Krallen gehabt und war auf Joyce los gegangen, sobald sie mit unserer Mutter fertig gewesen waren. Ohne Nachzudenken hatte ich mich in den Weg geworfen und den Angriff abgefangen, was dazu geführt hatte, dass die Krallen drei Schnitte in meine Haut gezogen hatten, die fürchterlich brannten. Durch den Mangel an Zeit konnten wir die Wunde nicht versorgen, was entsprechend auch seine Spuren hinterließ. Schließlich nahm ich den ersten Bissen, wenn man das so sagen konnte, von diesem sandkuchenähnlichen Ding. Im selben Moment weiteten sich meine Augen und es standen schon wieder Tränen darin. Es schmeckte nach diesem Zwiebelrostbraten, genau der Eine, den nur unser Lieblingsrestaurant so hin bekam, wie ich ihn liebte, den Joy und ich immer gegessen hatten, wenn es etwas zum Feiern gab. In unseren Leben hatte es nicht viele, solche Momente gegeben, aber ein paar. Und auch vor drei Tagen, als Joy seine Therapie beendet hatte, war eben dieser unser Essen gewesen. Während ich das Ambrosia weiter zu mir nahm, sah ich zu meinem Bruder, dem es wohl ähnlich ging, wie mir.

Je weiter ich den anderen folgte, desto mehr hatte ich das Gefühl, dass ich etwas haben musste! Irgendwas, ganz egal, wie wertlos oder dumm es war, ich brauchte etwas. Selbst, wenn es nur ein Blatt Toilettenpapier wäre, irgendwas musste ich haben. Leicht neigte ich den Kopf, als der junge Mann, der von Chiron freundlich hinaus geschickt wurde, an mir vorbei trat, um die Krankenstation zu verlassen. Ebenso neugierig wie meine Schwester, beobachtete ich dann wenig später, wie er etwas aus dem Schrank holte, nachdem ich mich auf die andere Liege daneben gesetzt hatte. Dabei ließ ich meine Beine baumeln und saß selbst zu dem Zeitpunkt nicht still. William hatte sich zwischen die beiden Liegen, aber ganz zur Seite gestellt, damit er in unserer Nähe war, aber nicht im Weg stand.
Langsam nickte ich, nachdem Chiron uns das Ambrosia übergeben hatte, auf die Erklärung hin. Im selben Moment fiel mir eine kleine, weiße Schachtel auf, sie war sehr klein und rechteckig. Vermutlich hatte der Kerl von eben diese hier liegen gelassen. Die schnappe ich mir. Das wird mit Sicherheit keiner vermissen. Und wenn das Ding auch noch leer ist, dann ist es perfekt.
Mit Mühe konzentrierte ich mich auf das Ambrosia und konnte sehen, wie meine Schwester darauf reagierte. Was für einen Geschmack es für sie wohl hatte? Während Chiron sich nun also ihre Wunde ansehen wollte, es wurmte mich, dass ich an dieser Schuld war, nahm ich nun selbst das Ambrosia zu mir. Ein trauriges Lächeln legte sich auf meine Lippen. Es schmeckte nach dem Käsekuchen, den die alte Dame immer gebacken hatte, die uns gegenüber gewohnt hatte. Sie war eine nette Frau gewesen, gütig und verständnisvoll. Als ich klein gewesen war, hatte ich oft Zeit bei ihr verbracht, sie war wie eine Oma für mich gewesen. Auch als ich sie bestohlen, ihr die Figur, die ich geklaut hatte, zurück brachte und mich entschuldigte... Sie hatte meine Kleptomanie akzeptiert und mich trotzdem freundlich behandelt. Bis sie an Altersschwäche gestorben war. Das Ambrosia schmeckte nach Kindheit, nach Zuhause, nach Geborgenheit. "Ich dachte nicht, dass ich diesen Geschmack noch einmal auf der Zunge haben würde", gestand ich offen. Niemand hätte den Käsekuchen so hinbekommen, wie sie. Keiner schmeckte wie der, den sie immer gemacht hatte. Daneben fühlte ich mich besser. Die Erschöpfung war weg geblasen, ich fühlte mich, als könnte ich einen Marathon laufen.
Das änderte allerdings nichts an dem Problem, das ich hatte. Als ich mich unbeobachtet fühlte, streckte ich langsam die Hand nach dem kleinen, weißen Schächtelchen aus, mit dem Plan, es in meiner Hosentasche verschwinden zu lassen. Meistens fühlte ich mich für kurze Zeit besser, wenn das unbändige Verlangen, etwas zu stehlen, befriedigt war, und dann plagte mich das schlechte Gewissen. Gerade hatte ich nach dem Ding gegriffen und zog meinen Arm langsam zurück, da schlug mir auf einmal William auf die Finger, sodass ich zusammen zuckte und das kleine Teil fallen ließ. Es kam mit einem dumpfen Geräusch auf dem Boden auf und ich zog beschämt die Hand zurück. Wenig später hob William das Ding auf und legte es wieder zurück. "Ich weiß, du kannst nicht anders, aber nimm dich bitte zurück", mahnte er mich eindringlich. Meine Wangen brannten förmlich. So viel zum Thema unauffällig.

Mein Scherz entlockte auch ihm ein Schmunzeln. Dennoch... es würde vermutlich auch noch eine Weile dauern, bis ich mich daran gewöhnen würde, dass wir uns nun nicht mehr zu den Menschen zählten, sondern zwischen Sterblichen und uns unterschieden. Sicherlich gab es noch vieles, an das ich mich gewöhnen musste. Jedoch war ich trotzdem froh darum, am Leben zu sein. Wir hatten es hierher geschafft - und das war schon einmal was wert. Am Ende haben wir ihr wirklich etwas bedeutet. Sie wollte, dass wir weiter leben können. Den Schmerz der Wunde spürte ich deutlich, als Chiron diese reinigte, doch es war auszuhalten. Es war weitaus Schlimmeres passiert, als das Reinigen einer Wunde. Ich wurde jedoch aus meinen Gedanken gerissen, als er mich wieder ansprach und mir erklärte, wie wir mit der Wunde weiterhin verfahren würden. "Verstanden, ich werde morgen früh nochmal kommen", versprach ich kurz darauf. Er ließ sich dann auch nicht mal lange Zeit, sondern legte sogleich einen sauberen Verband an. Natürlich tat meine Schulter noch immer weh, aber es fühlte sich trotzdem schon ein wenig besser an. Alleine weil ich wusste, dass die Wunde jetzt ordentlich versorgt war.
Unsere Aufmerksamkeit wurde dann aber von Joy und William eingefordert, denn Letzterer wies meinen Bruder ernst und eindringlich zurecht, und es war deutlich zu bemerken, dass mein Bruder sich schämte. Er sprach nicht gern über seine Kleptomanie. Auch wenn sie mehr Ärger verursachte, wenn niemand die Wahrheit wusste, so wurde er dennoch immer gemieden, sobald jemand es wusste. Auch mir tat es weh, nicht nur, weil es auch auf mich zurück fiel, sondern auch, weil ich sah, dass er darunter litt. Schon lange. Und egal, wo wir waren, es machte immer von Neuem Probleme, weil es dadurch immer schwerer wurde, offen auf andere zuzugehen. "Entschuldigen Sie ihn bitte, er hat...", setzte ich sofort an, mit dem Wunsch, ihn zu beschützen und zu helfen. Es war nicht schwer zu bemerken, dass ich ihm gegenüber beschützerisch war. Zudem hatte ich Sorge, dass wir vielleicht trotz der Tatsache, dass wir es gerade so sicher hier her geschafft hatten, aus dem Camp flogen. Diebstahl sah eben niemand gern.
William jedoch warf mir einen Blick zu und wollte mir deutlich machen, dass Joyce alleine lernen musste, darüber zu sprechen und offener damit umzugehen. Als wir unterwegs gewesen waren, hatte Joyce es auch einmal nicht mehr ausgehalten, und auch versucht, William eine Kleinigkeit zu stehlen. Es war nicht einmal etwas Wertvolles, gerade mal ein Taschentuch, jedoch hatte ihm das natürlich nicht so gefallen. Hier hatte ich natürlich nicht an mich halten können und ihm sogleich geholfen. So leid es mir tat, William hatte recht. Da musste mein Bruderherz wirklich alleine durch und darüber sprechen. Daher nickte ich ihm stattdessen ermutigend zu und lächelte ihn kurz an, in der Hoffnung, dass es ihm half. Eine Sache stand für mich dennoch gleich fest: Sollte er wirklich wegen irgendwas aus dem Camp geworfen werden, so würde ich mit ihm gehen.

Mein Blick bohrte sich beschämt in den Boden, als natürlich Chiron die ganze Sache dadurch nicht verborgen blieb, er sich uns zuwandte und zu erfahren verlangte, was los war. Schwer schluckte ich. Zwar war mir aufgefallen, dass er einerseits sanft klang, doch andererseits sehr bestimmt und ich wusste, dass ich nicht aus dieser Sache heraus kommen würde. Hilfesuchend hob ich den Blick und sah Jocelyn an, meine Schwester erhob auch sogleich die Stimme, um mir zu helfen, unterbrach sich jedoch und nickte mir dann ermunternd zu. Nun also musste ich es selbst regeln... und es fiel mir mehr als schwer, darüber zu sprechen. William sah nun zu mir und nickte mir ebenfalls zu, dass ich mit der Sprache heraus rücken sollte, das war jedoch nicht so einfach. Egal wann - ob jemand nun wusste, dass ich nicht anders konnte und es sich um eine Krankheit handelte, ob es etwas nicht sehr Wertvolles war, oder ob jemand dachte, ich machte es aus reinem Vergnügen, am Ende wurde ich immer gemieden. Mit mir sogar mein Schwesterherz - und jedes Mal aufs Neue tat es mir leid, wenn sie meinetwegen ebenfalls gemieden wurde.
Die Nervosität war mit einem Schlag zurück und ich begann zu schwitzen. Mein Herz pochte laut in meiner Brust, während ich es vermied, Chiron anzusehen. Mist, was, wenn wir beide aus dem Camp geworfen werden? Ich kenne die Regeln zwar nicht, aber Chiron findet es bestimmt nicht lustig, beklaut zu werden. Und wenn er dann noch weiß, dass mit mir Probleme vorprogrammiert sind, wird er mindestens mich raus werfen. Und Joce wird sicher mit gehen... sie hat immer mit mir gezogen und mich beschützt. Ich darf nicht zulassen, dass sie auch wieder in Gefahr gerät, nur weil ich Scheiße baue. Seit gefühlten Ewigkeiten herrschte Schweigen und machte mir deutlicher, dass ich aus dieser Nummer nicht mehr so einfach raus kam. Ich rieb meine schwitzigen Hände gegeneinander und versuchte, gegen den Kloß anzukämpfen, der mir den Hals verstopfte und es mir fast unmöglich machte, zu reden. Komm schon, Joy. Du musst was sagen. Sonst lässt du Joce ins Messer laufen.
"Also... es ist so... ich... ich leide an Kleptomanie", entgegnete ich kurz darauf. Mir war schlecht. Sehr schlecht. Doch es erschien mir wirklich besser, das hier wirklich zu erwähnen, bevor Chiron selbst noch dachte, ich würde klauen, weil es mir Spaß machte. "Also... das heißt, ich muss klauen. Ich kann nicht anders." Schließlich hob ich den Blick, nachdem ich den Mut zusammen genommen hatte, Chrion nun anzusehen. Noch einmal atmete ich tief durch. "Ich habe für die Kleptomanie bereits Therapien gemacht und es mehr oder weniger im Griff. Nach einschneidenden Ereignissen... bei neuen Orten oder neuen Personen, bei Stress... ist es schlimmer. Ich konnte nicht länger dagegen ankämpfen." Leicht seufzte ich und rieb meine Handflächen abermals gegeneinander. "Ich hoffe, wir fliegen deswegen jetzt nicht gleich aus dem Camp", fügte ich schuldbewusst hinzu und zog den Kopf leicht ein. Es musste schon komisch aussehen, dass ein Kerl meiner Größe so den Kopf zwischen die Schultern zog.

Es entging mir nicht, wie schwer es meinem Bruder fiel, Chiron zu offenbaren, was genau Sache war und weswegen er eben versucht hätte, etwas zu Stehlen, von dem er nicht einmal wusste, was darin war. Dabei fiel mir auf, dass Chiron ihn nicht drängte, sich zu offenbaren, sondern dass er ihm Zeit ließ, nicht einmal versuchte, unseren nonverbalen Austausch zu unterbinden. Als er schließlich begann, zu antworten, atmete ich sichtlich erleichtert auf. Ich war definitiv bereit gewesen, auf die wohlschmeckende Medizin, mein Umfeld hier und die Sicherheit hier zu verzichten, wenn nicht klar gewesen wäre, dass er bleiben durfte. Wir hatten schon immer zusammen gehalten, und das würde sich jetzt auch nicht ändern. Ganz gleich, was geschah.
Schweigend hörte ich zu, während Chiron sprach. Sein strengerer Blick, auch wenn dieser nicht mir galt, entging mir nicht. Dass er natürlich noch einmal deutlich machte, dass das Ausnutzen dieser Sache nicht geduldet wurde, war auch logisch. Langsam nickte ich, als er dann fertig war, wartete ich einen Augenblick, sah dankbar zu Chiron. So viel Verständnis war uns nur selten entgegen gebracht worden. So richtig an mich halten konnte ich nicht, deswegen haute ich ohne Nachzudenken raus: "Siehst du, Joy? Ab jetzt wird alles anders! Jetzt wird uns niemand mehr wegen diesem Mist ausschließen!" Es war hart, was passiert war. Doch gleichzeitig hatte ich diese unglaubliche Hoffnung, dass wir vielleicht, nur vielleicht nicht mehr diese Außenseiter sein würden. Und das hier der Ort sein konnte, nachdem wir gesucht hatten. Dennoch wurde dieses Gefühl abgeschwächt von einem Gefühl der Reue, das ich einfach nicht abschütteln konnte. Wären wir früher ins Camp gegangen, würde unsere Mutter vielleicht sogar noch leben. Das Lächeln schwand langsam wieder und ich senkte den Blick ein wenig.

Mir schwebte jede Situation vor meinem inneren Auge, wie ich gestanden hatte, worin genau das Problem bestand, und es jedes Mal mies gelaufen war. Fast immer hatten die meisten mich gemieden oder mich danach dennoch dafür verurteilt, so als hätte ich mir den ganzen Mist ausgesucht. Viele in meinem vorherigen Umfeld hatten nicht verstanden - oder wollten es nicht verstehen - dass das eine unfreiwillige Sache war, eine Krankheit, die ich nicht haben wollte und bei der ich verzweifelt versuchte, diese im Griff zu behalten. Diese unangenehmen Erinnerungen machten es mir schwer, damit offen umzugehen. Aber vielleicht war es gut - dieser Vorfall - damit wenigstens der Campleiter bescheid wusste, auch wenn es mir eindeutig unangenehm war, dass auch noch der Hüttenälteste darüber informiert werden sollte. Natürlich verstand ich auch warum, aber der Gedanke gefiel mir nicht. Aber vielleicht wurde es Zeit, damit offener zu sein.
Erleichtert atmete ich auf, während ich aber zur gleichen Zeit von dem Verständnis überrascht war, dass Chiron mir entgegen brachte. Im Grunde war ich es gewohnt, wenig Verständnis zu bekommen, das war bereits in der ein oder anderen Schule so gewesen. Langsam hatte ich genickt, als er dann erklärt hatte, wie normalerweise in einem solchen Fall vorgegangen wurde. Dann allerdings wurde sein Blick strenger und ich schluckte leicht. Etwas unsicher war ich mir allerdings bei dem Gedanken, mit einem Kind des Apollo zu sprechen, vielleicht brauchte ich noch ein wenig Zeit, bis ich wirklich offener damit umgehen konnte. Bevor ich allerdings etwas sagen konnte, platzte aus Jocelyn etwas raus, was mich verlegen am Kopf kratzen ließ. Wie das vorher immer gelaufen war, hätte sie jetzt nicht unbedingt an die große Glocke hängen müssen. Definitiv nicht. Aber ich war es gewohnt, dass Joce nicht gerade zurückhaltend war.
"Ich würde niemals mit Absicht etwas stehlen, bei meiner Ehre. Seit ich das erste Mal gestohlen habe, habe ich es gehasst. Ich kann Ihnen versichern, dass ich das nicht ausnutzen werde", versprach ich kurz darauf. Seit dem ich das erste Mal gestohlen habe, habe ich mich dafür gehasst, dass ich es tat... Tief atmete ich durch und sah mein Schwesterchen kurz an, lächelte leicht über ihren Ausbruch, ehe ich jedoch wieder ernst wurden und erneut zu Chiron sah. "Im Moment fällt es mir ehrlich gesagt ziemlich schwer, damit offen umzugehen. Aber sobald ich mich bereit dazu fühle, werde ich darauf zurück kommen und bei den Kindern des Apollo nachfragen", entgegnete ich schließlich. Jetzt gleich damit anzufangen, war mir etwas zu schnell, zu viel. Ich brauchte erstmal ein bisschen Zeit, mit dem, was alles nun passiert war, fertig zu werden.

Es war mir doch etwas peinlich, dass es so aus mir heraus gebrochen war, jedoch hatte ich es leider nicht so damit, etwas für mich zu behalten, was meine Gefühle betraf, oder erst einmal über das nachzudenken, das ich sagen wollte. Leicht kratzte ich mich am Kopf und bemühte mich um ein wenig Zurückhaltung, nachdem Joy mich angelächelt hatte und sich wieder an Chiron wandte. Genauso kannte ich mein Bruderherz. Er war zwar nicht unbedingt so eine Quatschbase wie ich und ständig am Reden, aber er war eine ehrliche Haut und würde niemals einfach mit Absicht etwas stehlen, welche Gründe man auch immer gut das absichtlich Stehlen haben mochte. Zugegeben, ich hatte während unserer Flucht gestohlen, aber nur das Nötigste. Es war um unser Überleben gegangen, und ich würde nie wieder stehlen, solange es nicht wieder in einer Flucht sein musste.
Leicht schüttelte ich den Kopf und hörte schweigend zu. Durch das Ambrosia fühlte ich mich wieder stärker und die bleierne Müdigkeit, die mich eingenommen und benebelt hatte, war verflogen. Eine wirklich gute Medizin, wenn auch die Nebenwirkungen nicht so toll wären. Was die Therapie anging, musste Joy weiter entscheiden, was er tun wollte, es war ein nettes Angebot, dass Chiron das klären wollte, damit mein Brüderchen nicht unbedingt alles teilen musste. Als er uns jedoch aufforderte, ihm zu unserer Hütte zu folgen, da er auch noch mit dem Hüttenältesten sprechen würde, nickte ich und erhob mich langsam. "Eine Stunde bis zum Abendessen? Ich freue mich schon darauf", stellte ich fest. Wenn ich das Ambrosia nicht dazu zählte, es war ja eigentlich keine Mahlzeit, hatten wir gefühlt schon ewig nichts mehr Vernünftiges gegessen. Dann wandte ich mich nochmal zu William.
Dieser lächelte leicht, laut Chiron wurde es vorerst Zeit, Abschied zu nehmen. "Das stimmt, es ist ewig her. Ich werde dann Bericht erstatten und meine Freunde begrüßen", entgegnete er und neigte leicht den Kopf, ehe er sich an uns wandte: "Passt auf euch auf und macht nicht zu viel Ärger. Wir sehen uns sicher bald wieder." Lächelnd nickte ich. "Danke für alles, William. Bis bald", entgegnete ich und machte mich daran, Chiron zu folgen.

=> Hermes-Hütte

Der Ausbruch von meinem Schwesterchen war mir noch immer ein wenig unangenehm, ich hatte nicht vor, gleich unsere gesamte Vergangenheit hier auf den Tischh zu legen. Jedoch war ich dann wieder ein wenig überrascht von dem Angebot, dass er auch mit jemandem sprechen konnte, sodass ich das nicht selbst und zudem noch alles Preis geben musste. Ich nahm mir vor, mir das merken und darauf zurück zu kommen. Jetzt allerdings fühlte sich das alles noch ein wenig viel an. Unser Leben hatte sich von einem Tag auf den anderen komplett gedreht und noch war ich mir nicht ganz sicher, was ich wirklich davon halten sollte. "Ich werde darauf zurück kommen. Um ehrlich zu sein habe ich nicht gedacht, dass ich jemals die Kleptomanie fast komplett oder sogar ganz hinter mir lassen könnte", gestand ich kurz darauf. Allerdings weckte es durchaus mein Interesse, was für Möglichkeiten hier denn noch bestanden.
Da Chiron nun beschloss, uns erst einmal zur Hütte zu bringen, damit wir uns einrichten könnten, und weil er noch mit dem Hüttenältesten reden wollte, nahm ich mir vor, erst später nach den weiteren Therapiemögkichkeiten zu fragen. Dabei hoffte ich, dass er nicht irgendwelche Psychopharmaka meinte, denn diese würde ich nie wieder einnehmen. Nicht nachdem die erste Therapie so schief gegangen und alles nur schlimmer gemacht hatte. "Alles klar", entgegnete ich knapp, fügte aber nach kurzem Schweigen hinzu: "Danke." Wir Jocelyn bedankte Ich mich ebenfalls, wenn auch wesentlich knapper, bei William, immerhin hatte er uns die Hintern gerettet und in Sicherheit gebracht. Erft dann folgte ich Chiron nach draußen zu den Hütten.

=> Hermes-Hütte

Sehr viel länger konnte ich meine Augen nicht aufhalten. Es war mir, als zöge mich etwas in die Dunkelheit. Nichts sehnlicher wünschte ich mir, als dem Hämmern in meinem Kopf, die nicht endenden Kopfschmerzen und dem Alptraum, der mein Leben war, zu entkommen. "Elena? Elena, du darfst jetzt nicht schlafen, okay?", hörte ich Pete sagen, und es verhinderte im Moment tatsächlich, dass ich die Augen schloss. Erneut blinzelte ich und kämpfte dagegen an, doch es fiel mir mehr als schwer. "Gleich wird es dir besser gehen, es dauert nicht mehr lange. Halte durch", beschwor er mich, doch in seiner Stimme lag eindeutig Angst. Doch warum Angst? Er kannte mich erst seit ein paar Stunden, vielleicht zwei Tage? Ich wusste es nicht mehr genau, mein Zeitgefühl hatte ich mittlerweile vollkommen verloren. Warum er mir jedoch so half, und was das alles sollte, verstand ich nicht. Schon seit er mich davon überzeugt hatte, ihm zu vertrauen, dass er mir helfen und mich an einen sicheren Ort bringen konnte... es war schwer zu glauben. Vielleicht war es einfach nur Mitleid...
Pete hatte mich mittlerweile auf die Krankenstation gebracht, im Camp Half Blood, doch dass ich mich hier in einem Camp für Halbgötter befand, geschweige denn die Tatsache, dass ich auch eine war, wusste ich noch nicht. Für Neuigkeiten dieser Art wäre ich sowieso nicht aufnahmefähig gewesen. Nicht mehr. Als ich gerade wieder die Augen schließen und der Müdigkeit nachgeben wollte, die ich fühlte, hörte ich Pete wieder reden. Schon in der kurzen Zeit hatte es sich angefühlt, als habe ich einen Freund gefunden. Er hatte mich nicht einmal ausgelacht, als ich ihm erzählt hatte, dass irgendwelche Monster mich verfolgt hätten. Doch das war alles nicht mehr wichtig. Langsam schien alles für mich an Bedeutung zu verlieren. Warum bemühte ich mich gleich nochmal? Es gab auf der ganzen Welt niemand, der mich kannte, der mit mir zu tun gehabt hatte und der mich jemals vermissen würde. Langsam schloss ich die Augen, wollte nicht mehr länger ankämpfen. Ich konnte nicht dagegen ankämpfen. Mein Kopf kippte leicht zur Seite, als ich das Bewusstsein verlor.

Aus der Sicht von Pete:
Pete zuckte zusammen, als er gemerkt hatte, wie ihr Kopf zur Seite gekippt war, was ihn nur noch mehr verängstigte und ihm nur noch mehr Sorgen machte. Er bemerkte sofort einen Jungen aus der Apollo-Hütte auf der Krankenstation, diese hatten hier in der Regel Dienst. "Du musst mir helfen!", sprach er diesen sogleich an, während er mich auf einer der Liegen ablegte, "sie wurde am linken Bein verletzt und die Wunden haben sich entzündet. Sie hat hohes Fieber!" Besorgt sah er sie an. Noch immer machte er sich Vorwürfe, sie nicht früher gefunden zu haben. Es waren Spuren gewesen, die er verfolgt hatte, doch als er sie fand, hatten bereits Monster ihre Witterung aufgenommen. Auch wenn sie in seiner Sicht noch immer nach ihrem ungepflegten Vater roch, so konnte ich doch ihre intensive Aura wahr nehmen, sie roch sehr intensiv. So wie es in der Regel der Fall bei einem der großen Drei war. Das war jedoch eine Sache, die er später ansprechen würde, bei Chiron, und eben auch, sobald er sich sicher war, dass sie überleben würde. Mehr konnte er jetzt nicht mehr für sie tun.

Einstiegspost

Einige Zeit vor dem Abendessen war ich nochmal hierher gekommen. Jemand von meinen Geschwistern hatte mir erzählt, dass sich Chiron wohl um zwei neue Halbblute gekümmert hatte und auch wenn ich davon ausging, dass er wohl schon längst nicht mehr hier war, hatte ich dennoch einen kurzen Abstecher zur Krankenstation gemacht und wenn nur, um mein Gewissen zu beruhigen. Wenn man so wollte, war hier jedoch sozusagen mein Reich. Anderen zu helfen und zu heilen lag mir einfach und gehörte zu mir. Auch wenn ich durchaus froh, dass wir inzwischen in verhältnismäßig friedlichen Zeiten leben konnten. So friedlich wie es für uns Halbblute nun mal sein konnte. Ich war auch froh, wieder im Camp zu sein, nach der gemeinsamen "Reise" von mir und Nico, wobei ein Trip in den Tartarus wirklich wenig angenehme Aspekte hatte. Aber Nico alleine dort hingehen zu lassen, auch als Sohn von Hades, das hätte ich auch nicht zulassen können. Zum Glück war ja alles gut ausgegangen und wir konnten Bob aus dem Tartarus retten. Bevor meine Gedanken allerdings weiter zu meinem Freund schweifen konnten, als die Tür aufgerissen wurde und ein Satyr hereinkam. Ich merkte sofort, dass er mehr als nur besorgt schien und der Grund war offensichtlich. Er trug ein junges Mädchen auf seinem Rücken, welches wohl nicht mehr als ein, zwei Jahre jünger war als ich und sie sah gar nicht gut aus. Mein Blick glitt sofort zu ihrem Bein, was mehr schlecht als recht bandagiert war und ich mit schnellen Schritten war ich bei ihnen, als der Satyr sie auf einer Liege ablegte. Prüfend legte ich meine Hand auf ihre Stirn.
"Ihr Zustand ist zwar schlecht, aber nicht kritisch. Ich werde sie gleich behandeln, dann sollte sie es schaffen", gab ich meine Einschätzung ab, wirkte aber trotz meiner Zuversicht besorgt. Sie fühlte sich sehr erschöpft an, aber sie schien trotz allem Glück zu haben. Nachdem ich den Band entfernt hatte, um mir die Wunde genauer anzusehen, konnte ich mit Gewissheit sagen, dass die Wunde selbst nicht gefährlich war. Die Infektion hingegen schon, allerdings war sie noch gut zu behandeln. Wäre sie womöglich erst am nächsten Tag hier eingetroffen, hätte es schlimmer um sie stehen können. "Ich bereite sofort alles vor." Bevor ich mit der Behandlung beginnen würde, suchte ich alles zusammen, was ich brauchte. Nektar und Ambrosia, mit dem sie wieder zu Kräften kommen würde, Mittel, um die Wunde zu säubern, saubere Verbände und eine Salbe. "Das wird jetzt gleich brennen, aber halte durch", sprach ich mit bestimmter, aber ruhiger Stimme zu dem Mädchen, als ich die Wunde als erstes desinfizierte und säuberte, wobei ich mir nicht sicher war, wie viel sie eigentlich noch mitbekam.