Aus der Sicht von Pete

Niemand konnte die Erleichterung beschreiben, die der Satyr fühlte, als sich sofort ein Sohn des Apollo, niemand anderes als der Hüttenälteste Will selbst, darum kümmerte, dass Elena wieder auf die Beine kommen konnte. Sogleich nickte er, als ihm gesagt wurde, dass er alles vorbereiten würde. In dieser Zeit konnte er nicht an sich halten und lief auf und ab. Petes Hufe ergaben ein leises, klackerndes Geräusch auf dem Boden. Man konnte ihm eindeutig die Schuldgefühle ansehen. "Ich hab zu lange gebraucht... wenn ich sie früher gefunden hätte, würde es ihr jetzt besser gehen", gestand er, während Will sich um das Mädchen kümmerte. Sie war ihm mehr durch Zufall in die Arme gelaufen, weil es schwer gewesen war, sie aufzuspüren. Doch in diesem Moment war ihm klar, dass sie eine der stärksten Halbgötter sein musste. Die Monster waren ihr bereits auf den Fersen gewesen, und eigentlich konnte man nur von Glück reden, dass sie noch lebte - geschweige denn, dass sie es trotz allem lebend hierher geschafft hatten.

"Mach dir keine Vorwürfe, dank dir hat sie überhaupt noch eine Chance", versuchte ich den Satyr zu beruhigen, während ich mit ruhigen und bedachten, aber zugleich flinken Bewegungen die Wunde säuberte. Das Mädchen regte sich nur insofern, indem sie leicht zuckte und ein Schnauben ausstieß, während meiner Behandlung. "Hättest du sie erst später hergebracht, wäre die Sache weitaus kritischer", wandte ich mich wieder an den Satyr und hoffte sehr, dass es ihm damit ein wenig besser gehen würde. Er selbst schien zum Glück ja unverletzt zu sein. Ich hatte zwar meine Fragen, aber als Erstes musste ich um sie kümmern. Ich hatte die Wunde inzwischen endlich gereinigt, Keime, Bakterien und Schmutz wären bei dem kommenden Heilprozess mehr als nur unvorteilhaft. Ich atmete kurz aus, ehe mein Gesicht wieder einen konzentrierten Ausdruck annahm. Der eigentliche Teil der Heilung begann erst jetzt, als ich auf Altgriechisch eine Hymne an meinen Vater, Apollo, anstimmte, um den Heilprozess zu beeinflussen. Da die Wunde bereits entzündet war, brauchte es ein wenig mehr Heilkraft. Aber neben dem beschleunigten Heilprozess ihrer Wunde am Bein, sollte auch ihr Fieber schneller als sonst zurückgehen.
Nachdem eine Weile verstrichen war, verstummte ich wieder und wischte mir etwas Schweiß von der Stirn, da es mich doch einiges an Kraft gekostet hatte. "Es sollte ihr jetzt bald besser gehen", teilte ich dem Satyr mit und brachte ein leichtes Lächeln zustande. Ich legte ihr fachmännisch einen neuen Verband an und nahm dann etwas Nektar zur Hand, welchen ich versuchte, ihr tropfenweise einzuflößen. "Hier, trink das, das wird dir guttun."

Pete schüttelte leicht den Kopf, er fühlte sich nur bedingt besser dadurch. Natürlich hatte ich dank ihm überlebt, aber er fühlte sich trotzdem nicht gut, dass es so weit gekommen war. "Danke, Will", entgegnete er leise. Seine Sorge blieb, doch wenn sie wieder fit werden würde - er vertraute in das Können von Will vollkommen - dann würde ein weiteres Halbblut überleben und lernen, gegen die Monster anzukommen. Wie gebannt sah der Satyr Will an, als dieser eine Hymne anstimmte, die den Heilungsprozess fördern sollte. Ich selbst bekam diese mehr unterbewusst mit, und mein Körper reagierte auch darauf. Mit der Zeit sank langsam, aber sicher mein Fieber, erst einmal in einen weitaus weniger gefährlichen Bereich, und meine Augenlider flatterten nach einer Weile, als er die Hymne wieder beendet hatte. Noch immer war ich so unglaublich müde, dass ich am Liebsten die Augen wieder geschlossen hätte, dich ich wusste nicht, wo ich war. Erneut zuckte ich zusammen, wollte mich rühren, aufstehen, irgendetwas, mir saß der Alptraum von eben noch im Nacken.
Ich sah schon bald allerdings in das freundliche Gesicht eines blonden Jungen, welcher versuchte, mir etwas einzuflößen. Seine Stimme erkannte ich von eben wieder, in diesem furchtbaren Traum hatte er gesagt, ich solle durchhalten. Gegen das, was er mir gab, wehrte ich mich nicht und nahm es zu mir. Für einen kurzen Augenblick wurden meine Augen groß. Sie schmeckten wie die Bonbons, die auf meiner Fensterbank gelegen hatten, und von denen ich bis heute nicht wusste, woher sie kamen. Nach Himbeere und zuckersüß, wie eine Zuwendung. Nach Liebe, die ich nie bekommen hätte. Meine elektrisch blauen Augen weiteten sich für einen Moment, ehe ein schwaches Lächeln auf meinen Lippen zu sehen war. Danach wanderten meine Augen immer wieder umher, während er das tat, auf der Suche nach etwas Bekanntem.
In diesem Moment trat Pete in mein Sichtfeld. "Mach dir keine Sorgen. In wenigen Sekunden geht es dir wieder besser", sprach er mich leise an und strich mir mit der Hand kurz über die schwarzen Haare. Seine Stimme zitterte und ich erkannte, dass er sich große Sorgen gemacht hatte. Warum auch immer. Auch wenn es schön war, dass sich jemand Sorgen um mich machte. Es beruhigte mich, dass er hier war, so war er doch in dem Wahnsinn der letzten Stunden mein einziger Freund gewesen. Mir brannten so viele Fragen auf den Lippen - jedoch trank ich gehorsam das, was der Blonde (Will) mir gab. Ich konnte spüren, wie ich mich langsam etwas stärker fühlte und die Erschöpfung nachließ.

Manchmal beneidete ich die Satryn nicht um ihre Aufgabe, nach Halbbluten Ausschau zu halten und ins Camp zu bringen, es war immerhin etwas, was mit einer Menge Verantwortung einher kam. Und damit auch bestimmt mit einem gewissen Druck, vor allem, wenn es darum ging, das Halbblut dann sicher ins Camp zu bringen. Wir wussten im Prinzip nie, wo uns das nächste Monster auflauern könnte und ich hatte schon von einigen gehört, wie gefährlich ihre Reise hierher war. Ich musste nicht fragen, denn der Zustand der beiden verriet schon, was sie wohl alles durchmachen hatten müssen und es wohl keine angenehme Reise war. Ich hatte dem Satyr noch einen aufmunternden Blick zugeworfen, ehe ich mich wieder meiner Patientin widmete.
Diese schien dank dem Nektar allmählich wieder zu sich kommen. Ich konnte nicht sagen, wie viel sie bereits wusste, aber sie sollte zumindest bereits anerkannt sein und ihr Beschützer hatte ihr bestimmt auch schon einiges erzählt. Als mein Blick schließlich auf ihren traf, schenkte ich ihr ein leichtes Lächeln, was trotz meiner leichten Erschöpfung freundlich und warm war. "Willkommen im Camp Half-Blood. Wie geht es dir?", fragte ich sie mit sanfter Stimme. Sie dürfte sich noch etwas erschöpft fühlen, aber die Heilung und auch der Nektar dürften ihre Arbeit tun. Aufstehen sollte sie am besten allerdings noch nicht, auch wegen der Verletzung an ihrem Bein.

Der Satyr nickte Will dankbar zu und erwiderte das aufmunternde Lächeln leicht, war aber sonst voll mit seiner Aufmerksamkeit bei mir. Ich ahnte gar nicht, dass für ihn nun der nächste, unerfreuliche Teil bevor stand. Nämlich mir zu zeigen, was genau ich war, und dass alles wahr ist. Die vergangenen Stunden, die Flucht mit Pete, fühlten sich an wie ein seltsamer Traum. Das Lächeln des blonden Junren (Will) war freundlich und warm, so erwiderte ich selbst es leicht. Noch immer war ich ziemlich erschöpft, aber es fühlte sich lange nicht mehr so schwer an, wie noch vor kurzem. Dennoch blieb ich ruhig liegen, den ich wusste, mein Bein war verletzt, und momentan verspürte ich nicht den Wunsch, gleich wieder aufzustehen. "Camp Half-Blood?" , wiederholte ich und sah ihn verwirrt an, "Ich weiß nicht... Ich fühle mich, als wäre ich von irgendwas einmal ordentlich durch gekaut und dann wieder ausgespuckt worden..." Eine komische Beschreibung für das, wie ich mich fühlte, aber passend.
"Das ist ein Camp für Halbblute", kam prompt eine Erklärung von Pete, die so hilfreich war, wie... Wie eine Formel aus dem Matheunterricht, die man nicht anwenden konnte. Gar nicht. ".…also ein Camp für Halbgötter. So wie Will hier", meinte der Satyr und deutete auf den Blonden, "und wie du." Einen Moment reagierte ich gar nicht, es dauerte eine Weile, bis es bei mir ankam. "Für Halbgötter? Also... So Götter wie... Zeus... Poseidon, Hades und so? Die gibt es wirklich?", entgegnete ich ungläubig, das konnte ich mir nicht vorstellen. Mühevoll versuchte ich, mich auf meine Arme zu stemmen und jetzt zumindest mal aufzusetzen, aber das war verdammt anstrengend. "Das... Das ist doch ein Witz oder? Irgendein Streich mit versteckter Kamera. Ihr... Ihr veralbert mich doch?" Hoffnungsvoll sah ich zu dem Jungen, den mir Pete indirekt als Will vorgestellt hatte, dass er meine These bestätigte. Oder soll das bedeuten, diese Dinger, die mich verfolgt haben, waren...

Ich runzelte ein wenig die Stirn, als sie sich überrascht zeigte, nachdem ich das Camp erwähnt hatte, denn es wirkte auf mich so, als ob sie davon noch nie gehört hatte. Nachdem sie von einem Satyr hergebracht worden war, war ich eigentlich davon ausgegangen, dass sie vom Camp und von ihrer Herkunft wusste, aber jetzt gerade war ich mir nicht mehr so sicher, ob das auch wirklich der Fall ist. Als sie mir beschrieb, wie sie sich fühlte, konnte ich nicht weiter eingehen, denn da hatte der Satyr schon eine ausführlichere Erklärung begonnen, was mir damit bestätigte, dass sie anscheinend tatsächlich noch nichts über das Camp und vermutlich auch Halbblute wusste. Was mich nun doch sehr stutzig machte, denn sie sollte immerhin schon anerkannt worden sein. "Nein, das ist kein Scherz", antwortete ich ihr aber zuerst ruhig und zerstörte damit wohl ihre Hoffnungen, dass es nicht ernst gemeint war. "All die Geschichten, die man kennt, sind wahr. Die Götter existieren wirklich und leben hier in den USA. Und sie zeugen auch heute noch mit Sterblichen Kinder, woraus dann wir - Halbgötter, Halbblute oder Demigottheiten - entstehen. Du stammst zum Teil von einem Gott ab." Ich wandte mich nun wieder an den Satyr, denn es ließ mir keine Ruhe. "Du hast sie hierher gebracht, ihr aber noch nichts erzählt? Und eigentlich ist sie doch schon anerkannt, oder? Dann müsste sie doch auch Bescheid wissen? Wer ist denn ihr göttliches Elternteil?" Man konnte mir ansehen, dass ich mir darauf momentan keinen Reim machen konnte und es tat mir leid, dass ich ihn gerade mit Fragen überhäufte, aber irgendetwas stimmte hier nicht.

Pete begann, schuldbewusst von einem Bein auf das andere zu treten. Er hatte mir nichts darüber gesagt, ich wollte ehrlich sein, ich hatte zwar bemerkt, dass er kein Mensch war, aber geglaubt, dass es nur ein schrecklicher Scherz war. So richtig Zeit hatten wir auf der Flucht dann nicht gehabt, zu reden, denn fast die gesamte Zugfahrt ging es mir schlecht und ich hatte eine Zeit lang geschlafen. Doch das... ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Als er mir dann aber vollkommen ruhig und ernst sagte, dass alles wahr sei, schluckte ich schwer und schlug die Hände vors Gesicht. Jedoch hörte ich ihm zu, denn diese Erklärungen waren wichtig. Doch es fiel mir schwer, das zu akzeptieren. "Okay, wenn... wenn alles wahr ist, warum hat er sich nie blicken lassen? Und dann... waren diese Monster... echt?", brachte ich heraus. Angst schwang in meiner Stimme mit. Es war nicht gerade eine schöne Aussicht, zu wissen, dass Monster hinter mir her waren. Und auch nicht, dass ich damit rechnen konnte, für den Rest meines Lebens von denen verfolgt zu werden.
Während ich versuchte, mit all diesen neuen Informationen klar zu kommen, wandte Will sich schließlich an Pete, welcher sich ertappt und verlegen am Kopf kratzte. "Es gab nie richtig Zeit dafür!", verteidigte er sich, und es war ihm anzusehen, dass es ihm leid tat, "ich war ihr auf der Spur, ich konnte riechen, dass ein mächtiges Halbblut in der Nähe ist. Aber ihr Geruch wurde lange Zeit überlagert. Wir sind uns mehr zufällig begegnet, als sie auf der Flucht vor Monstern gestürzt ist. Auf der Flucht war nicht genug Zeit", erklärte er schließlich weiter, "im Zug hat sich ihr Zustand immer weiter verschlechtert. Da konnte ich schlecht von ihrer Herkunft anfangen." Er kratzte sich am Kopf und senkte den Blick. "Wie es scheint, wurde sie nicht anerkannt. Aber sie hat eine sehr starke Aura", stellte er fest, "ihr Geruch ist sehr stark." Verwirrt runzelte ich die Stirn.
"Warte mal... wenn du sagst, dass ich so stark rieche, willst du sagen, dass ich stinke?", warf ich ein wenig ärgerlich ein, nachdem ich meine Hände aus dem Gesicht genommen hatte. Das Sitzen gelang mir schonmal ganz gut. "und was genau bedeutet, dass ich noch nicht anerkannt wurde?", wollte ich dann wissen. Zudem verärgerte es mich durchaus, dass hier gerade über mich gesprochen wurde, fast als wäre ich nicht da. Als wäre das nicht schon schlimm genug, dass mein ganzes Leben bisher eine Lüge gewesen war und ich mein Leben nicht so gestalten konnte, wie ich es wollte. Erst hatten meine Eltern über mich bestimmt, und nun bestimmten Monster über mein Leben.

Es war nicht zu übersehen, wie den beiden zumute war. Ihm stand das schlechte Gewissen, ihr die Panik ins Gesicht geschrieben. Es war für viele Halbgötter schwer das zu akzeptieren, wenn sie das erste Mal davon hörten, vor allem, wenn sie ohne jegliche Ahnung ins Camp kamen. Ich hätte das Mädchen natürlich gerne aufgemuntert, aber es gab im Moment nicht die richtigen Worte dafür. "Die Monster waren echt. Aber hier im Camp bist du sicher, die magischen Grenzen schützen das Camp und hindern die Monster daran, hier einzudringen", versicherte ich ihr. Monster (und auch Sterbliche) hatten nur Zutritt, wenn man ihnen die Erlaubnis gab oder sie beschworen wurden. "Was deinen göttlichen Elternteil betrifft, kann ich dir leider nichts sagen. Nicht alle Eltern zeigen sich ihre Kinder in Person. Vor einigen Jahren war es noch Gang und Gäbe, dass es Halbgötter hier im Camp waren, die nicht wussten, wer ihr göttliches Elternteil waren. Selbst der sterbliche Elternteil weiß nur in seltenen Fällen, dass sie ein Kind mit einem Gott gezeugt haben." In diesem Zusammenhang gab es viel zu erklären und alles auf einmal zu erzählen war schwierig. Sie würde wohl auch bestimmt eine Weile brauchen, um sich an das alles zu gewöhnen. Dann schaltete sich der Satyr wieder ein und ich fand seine Erzählung beunruhigend, insbesondere der Teil, dass sie noch nicht anerkannt wurde. Aber bevor ich darauf eingehen konnte, hatte das Mädchen wieder das Wort ergriffen. Sie klang verwirrt, was nicht verwunderlich war, aber schien auch aufgebracht zu sein.
"Jedes Halbblut trägt einen Geruch an sich, der ihn sozusagen als Halbblut markiert. Satyre, wie dein Freund hier, aber auch Monster können diesen Geruch wahrnehmen und Halbblute aufspüren. Je mächtiger ein Halbblut ist, desto stärker ist der Geruch. Und desto mehr Monster sind hinter einem her. Aus diesem Grund werden wir ins Camp gebracht, da es in der Welt der Sterblichen gefährlich werden kann. Es gibt aber eben auch Halbblute, die nicht ganz so viel Glück haben und bereits in jungen Jahren sterben, auch weil sie von ihrem göttlichen Elternteil nicht anerkannt wurden. Aber inzwischen gibt es einen Pakt, dass die Götter ihre Kinder spätestens anerkennen müssen, sobald sie 13 sind. Eigentlich."

Unsicher sah ich Will an, war mir nicht sicher, was ich davon halten sollte, für den Rest meines Lebens von Monstern verfolgt zu werden. Das klang nicht sonderlich... Erfreulich. Und stand eigentlich meinen Hoffnungen im Weg, als ich aus dem Haus meiner Mutter getürmt war. "Das bedeutet, hier kommen diese Dinger nicht hin. Aber... Wenn ich nicht hier bleibe, werde ich schnell ein Snack für diese... Dinger?" Im Grunde war die Antwort bereits klar, ich würde nur hier in Sicherheit sein und nirgendwo da draußen. Damit war ich an diesen Ort gebunden. So sehr es mir widerstrebte, durch Umstände wie diese an irgendwas gebunden zu sein, hatte ich dennoch kein Interesse daran, von Monstern zerfleischt zu werden, nicht gerade ein gutes Hobby.
Leicht ballte ich meine Hände zu Fäusten, es war kein gutes Gefühl, zu merken, wie scheißegal ich meinem leiblichen Vater war. Dass es so war, wusste ich bereits lange. Immerhin hatte er sich nie blicken lassen - Mutter hatte auch nie von ihm erzählt - und das setzte dem ganzen jetzt noch die Krone auf. Meine Lippen bildeten einen wütenden Strich und Tränen traten in meine Augen, während ich das begriff. Es tat weh. Verdammt weh. Eigentlich sogar schlimmer als die Wunden, die ich mir bei dem Sturz am Bein zugezogen hatte.
"Okay, das heißt für mich also, dass mein Vater mich eigentlich hätte anerkennen müssen, aber meine Existenz unter den Teppich kehrt und so tut, als habe er nichts mit mir zu tun. Und das bedeutet, dass es sicherer ist, hierzubleiben und dass ich im Grunde Glück hatte, dass Pete mich gefunden und hierher gebracht hat", schloss ich daraus und seufzte schwer, "Ich glaube, das muss ich erst verkraften. Noch vor ein oder zwei Jahren hätte ich mich über diese Neuigkeiten soger gefreut..." Aber sicher nicht jetzt, nachdem ich endlich den Mut hatte, abzuhauen. Pete legte mir indes trösten eine Hand auf die Schulter. Tief atmete ich durch. Ich fühlte mich niedergeschlagen. Enttäuscht. Ich war traurig, dass mein Vater sich nie hatte blicken lassen. Und vorerst hatte ich wirklich genug gehört, ich bezweifelte, dass ich für mehr aufnahmefähig war. "Danke...", kam es leise von mir. Immerhin konnte ich dank Will wenigstens wieder sitzen und fühlte mich besser. Und dank Pete war ich überhaupt noch am Leben.

"Es ist keine Verpflichtung, hier um Camp zu bleiben. Es gibt viele, die nur den Sommer über hier sind und den Rest des Jahres bei ihrer Familie verbringen. Es gibt wirklich mächtige Halbgottkinder, die trotz der Gefahr nach Hause gehen", sagte ich zu ihr, damit sie auch wusste, dass sie nicht ans Camp gebunden war. Dabei verschwieg ich aber, dass ich zu denjenigen gehörte, die das ganze Jahr über im Camp blieben. Selbst Kinder der Großen Drei war es erlaubt, das Camp zu verlassen, auf eigenen Gefahr natürlich. Wenn etwas passierte, musste man ja leider die Konsequenzen ertragen. "Weißt du, das Camp bereitet dich darauf vor, dich gegen die Gefahren zu wehren. Deswegen wir hierhergebracht." Wenn man so darüber nachdachte, war es eigentlich kein schönes Schicksal, denn wenn wir nicht lernten, wie wir uns verteidigen können, dann sah es für uns schlecht aus.
Mir tat sie sehr leid und mir gingen langsam die Worte aus, mit denen ich sie aufmuntern hätte können. Bis vor drei Jahren war es schließlich noch normal gewesen, dass es Halbblute gab, die nicht anerkannt worden waren. Und ich hatte eigentlich gedacht, dass sich diese Zeiten geändert hatten, aber nachdem ich ihre Erzählungen hörte... Ich wusste nicht, aber irgendwie hatte ich ein schhlechtes Gefühl dabei. Bevor ich aber noch etwas zu ihr sagen konnte, hörte ich Hufgeklapper und kurz darauf kam auch schon Chiron herein. "Sie kam mit einer schweren Wunde am Bein, welche sich auch entzündet hatte. Außerdem kommen noch Fieber und schwere körperliche Erschöpfung hinzu. Ich habe die Wunde versorgt und auch das Fieber ist inzwischen runtergegangen. Ich würde aber dennoch vorschlagen, sie über Nacht hier zu lassen. Mit ihrem Bein sollte sie sich noch nicht bewegen und sie braucht dringend Ruhe. Das Fieber sollte bis morgen allerdings weg sein", gab ich Chiron einen kurzen Bericht über die versorgungstechnische Lage. Was das andere betraf, würde ich es Pete überlassen, und dem Mädchen selbst.

Mein Blick wurde düster, als er davon sprach, dass man auch nur den Sommer hier verbringen und auch wieder nach Hause zu seiner Familie konnte. "Ich kann nicht zurück. Ich habe keine Familie", kam es dunkel und abweisend von mir, vielleicht etwas schärfer, als ich wollte. Will machte mir zwar klar, dass ich nicht an das Camp gebunden war, wie ich eigentlich erwartet hatte, doch ich konnte gleichzeitig nirgendwo anders hin. Eigentlich sollte ich etwas Gutes darin sehen. Ich hatte sowieso nicht gewusst, wo ich hingehen hätte sollen, doch ich wusste auch nicht, was ich davon halten sollte. Es war so... so... viel! Einen Moment schwieg ich, ohne etwas zu sagen. "Ich finde es gut, dass es einen Ort für Halbgötter gibt, wirklich. Aber...", setzte ich an, doch anstatt zu Ende zu sprechen, schüttelte ich den Kopf und brach ab. Was sollte ich nur davon halten? Von einem Tag auf den anderen war mein Leben völlig anders. Auf eine Art und Weise, von der ich nie zu träumen gewagt hätte.
Schon bald jedoch waren erneut Hufe zu hören, und das kam sicher nicht von Pete. Dieser schien sich noch immer mehr als schlecht zu fühlen. Was ich davon halten sollte, dass er nie etwas erwähnt hatte, wusste ich nicht genau. Ich hatte gehofft, dass er mein Freund wäre, aber er hatte mir nicht von Anfang an die Wahrheit gesagt und mich im Glauben gelassen, dass unsere Begegnung eine Zufällige gewesen wäre. All diese Gedanken wurden jedoch unterbrochen, als ein Zentaur (Chiron) die Krankenstation betrat, sich sogleich vorstellte, nachdem er mich willkommen geheißen hatte. Unhöflich starrte ich ihn an, mein Blick wanderte hinab und wieder hinauf. Und noch einmal. Meine Kinnlade machte Bekanntschaft mit dem Boden. Ein Satyr konnte ich mehr oder weniger akzeptieren. Halbgötter, die existierten, genauso. Aber ein echter Zentaur? Dadurch vergaß ich vollkommen, zu antworten und es dauerte eine ganze Weile, bis es mir gelang, mich wieder zu fangen. Damit hatte Will erstmal meinen gesundheitlichen Status erklärt. Pete sah in der Zeit abwechselnd zwischen mir und Chiron hin und her, unsicher, ob er als nächstes antworten wollte.
"Elena. Elena McBeth", stellte ich mich auch kurz vor, wenn auch etwas verspätet, jedoch verzichtete ich darauf, eine Floskel wie "Freut mich" dran zu hängen. Unter anderen Umständen wäre es weitaus mehr erfreulicher gewesen. Langsam nickte ich, doch so wirklich konnte ich mich nicht mehr zurück halten. Ich war aufgebracht, wütend. Eigentlich nicht wirklich auf Pete, Chiron oder Will. Auf meinen unbekannten Vater, und... auf mich selbst. "Ich bin abgehauen und werde vermutlich nicht mal vermisst, wurde beinahe von Monstern zerfleischt, erfahre gerade, dass mein leiblicher Vater ein Gott ist und mich bereits vor zwei Jahren hätte anerkennen müssen. Also bin ich ihm noch mehr egal, als ich eigentlich erwartet habe... das... ist mein Stand", kam es von mir, ich klang etwas verärgerter, als ich wollte, "ich hab kein Eigentum, alles verloren, was ich besaß und kann nicht mal den Aufenthalt bezahlen, wenn ich hier bleibe. Also... nicht gerade ideal." Ich schnaubte. Erst jetzt fiel mir auf, wie das wohl geklungen hatte, und ich senkte mein Blick. "Tut... tut mir leid", meinte ich leise und kratzte mich leicht am Kopf.
Pete drückte erneut meine Schulter, wie um zu sagen, dass mein kleiner Ausbruch eben nicht schlimm gewesen war. So richtig gut ging es mir nicht und ich fühlte mich noch immer so erschöpft, sodass ich mich zurück fallen ließ, um besser doch auf der Liege zu liegen. "Ihr Stiefvater war wie ein starkes Schild. Er hat ihren Geruch fast vollkommen überdeckt. Ich war schon lange auf der Suche, aber dadurch waren die Monster leider schneller. Ich war beinahe zu spät", fasste Pete noch einmal kurz das Wichtigste unserer Flucht zusammen, und schüttelte sich. Der Gedanke, dass er beinahe versagt hätte, schien ihn schwer zu treffen. "Sie riecht stark, Chiron. Sehr stark", fügte er noch hinzu. Es war gut, dass Will mir erklärt hatte, was es bedeutete, denn ansonsten wäre ich ziemlich angefressen gewesen.

Ich hatte hier nicht mehr wirklich viel zu tun und ich glaubte auch, dass es besser war, wenn Chiron ab hier übernehmen würde. Er hatte das bestimmt schon ein hunderte Mal mehr gemacht, neue Halbgötter hier zu begrüßen und ihnen eine Einführung zu geben. Ich hatte schon beinahe widersprechen wollen, als er meinte, ich sollte jemanden von meinen Geschwistern schicken, aber schluckte es dann doch hinunter. Natürlich hatte ich Geschwister, die ebenso gute Heiler waren, daran hatte ich keinen Zweifel, ich hatte nur den Drang, mich weiter um sie kümmern, bis sie genesen war. Die Kraft, die die Heilung erfordert hatte und die daraus resultierende Erschöpfung ignorierte ich gekonnt. "Auf Wiedersehen, Chiron. Man sieht sich bestimmt wieder", verabschiedete ich mich nun von den Anwesenden, zuerst von Chiron, ehe ich mich an die anderen beiden wandte und die Krankenstation verließ. Ich hob noch kurz die Hand und schloss dann die Tür hinter mir. Das Abendessen hatte bestimmt schon angefangen und ich als Hüttenältester sollte wohl wirklich nicht fehlen.

(Will -> Speisepavillon, Tische der Olympischen Hauptgötter)

Chiron beschloss schließlich, dass Will hier erstmal alles getan hatte, was nötig und möglich war und dieser erst einmal zum Abendessen gehen sollte. Dieser verabschiedete sich dann wenig später, als erstes von Chiron, und dann auch von Pete und mir. Kurz nickte ich ihm zu, als er sich aber zum Gehen wandte, fiel mir noch etwas ein. "Will...", rief ich ihm noch nach, "... danke." Einen Moment sah ich ihm noch nach, ehe ich mich dann wieder Chiron zuwandte, um ihm zuzuhören. "Freut mich... auch", quetschte ich aus Höflichkeit noch heraus, auch wenn es natürlich alles andere war, als das. Zumindest den Umständen nach zu urteilen, eigentlich war ich immer froh über neue Freunde und neue Bekanntschaften und wollte auch Neue schließen.
Er zeigte mir gegenüber Verständnis, nachdem ich mich für den kleinen Ausbruch entschuldigt hatte, was mich ein wenig beruhigte. Allerdings überraschte es mich, als er mir erläuterte, dass der Aufenthalt kostenlos war. Zumindest in dem Sinne, dass man sich eben an den Aufgaben im Camp beteiligen und dieses so unterstützen konnte. "Verstehe... das klingt fair", entgegnete ich kurz darauf. Das war eigentlich wirklich fair. So konnten auch Halbgötter, die eben kein Geld hatten, hier Schutz und Zuflucht finden. Danach kam er noch einmal auf meine Anerkennung zu sprechen, und ich ballte erneut meine Hände zu Fäusten, während ich für einen Moment den Blick abwandte. Es beschäftigte mich ganz schön. Ich hatte mich eine lange Zeit damit abgefunden, es akzeptiert und verdrängt, dass mein leiblicher Vater nie da war. Doch so... das alles zu erfahren, mehr über meinen leiblichen Vater zu erfahren, wühlte das alles erneut auf.
Pete hatte alle wichtigen Details der Flucht zusammen gefasst, Chiron bedankte sich bei ihm und er nickte stolz, da er es wohl geschafft hatte, mich zu retten, ehe Chiron sich wieder an mich wandte. Über Nacht hierzubleiben, hörte sich schonmal gar nicht so schlecht an, jedoch hoffte ich, dass ich fürs Erste vielleicht nicht vollkommen alleine sein würde. Nach all den neuen Informationen war mir nicht wirklich danach. "Alles klar", entgegnete ich kurz darauf und nickte leicht als Zeichen, dass ich verstanden hatte. Jedoch gab es noch eine Frage, die mir auf der Seele brannte. Eigentlich hatte er gesagt, das mit der Anerkennung würden wir auf morgen verschieben, doch ich konnte es einfach nicht los werden. "Ich weiß, wir sprechen über die Sache mit der Anerkennung morgen...", setzte ich an und kratzte mich leicht am Kopf, "was passiert, wenn ein Halbgott nie anerkannt wird?"